Salon Salder, Neues aus niedersächsischen Ateliers 2008, Texte Michael Stoeber
Zhou Fei, Peter Heber, Petra Kaltenmorgen, Stephan Kleineberg, Cornelia Konrads, Achime Leseberg, Hannes Malte Mahler, Christiane Oppermann, Simona Pries, Frank Rosenthal, Raimund Zakowski, Silke Zeidler
Letzte Dinge und neues Leben
von Michael Stoeber
1994 ist Petra Kaltenmorgen mit der fotografischen Darstellung von Gegenständen des Alltags bekannt geworden, die völlig unspektakulär sind. Mit denen wir jeden Tag umgehen und die uns nützlich sind: ein Stuhl, ein Tisch, ein Ball, ein Topf, eine Zuckerdose, ein Wäschemuff. Dinge, die wir in ihrem Gebrauchswert als angenehm empfinden, aber kaum noch wahrnehmen, und denen sich unsere Aufmerksamkeit in der Regel erst dann zuwendet, wenn sie – aus welchen Gründen auch immer – nicht mehr zu unserer Verfügung stehen. Petra Kaltenmorgen setzt diesen Dingen in schwarz-weißer Fotografie auf präzise, unsentimentale Weise ein Denkmal. Mit Bildern, die den Blick auf die Lineatur der Dinge richten und damit auf ihre kognitive Erfassung. Man meint, die Künstlerin fotografiere nicht nur den einzelnen Gegenstand, sondern zugleich eine Typologie. Das gelingt ihr, indem sie die Objekte eng in das Format des Bildes einspannt und einen neutralen, sie exponierenden, nicht ablenkenden Hintergrund wählt. Mit dem Ergebnis, dass alles Akzessorische eliminiert wird sowie die Umstände von Zeit und Raum. Daher sind die Gegenstände dieser Fotografie auf eindrückliche Weise konkret und abstrakt zugleich, Ding und zugleich Idee des Dings.
Später hat Petra Kaltenmorgen dem Thema der Alltags-gegenstände ein weiteres Kapitel hinzugefügt. Unter dem Titel „Blind Fields“ (1997–99), der auf die blinden Flecke unserer Wahrnehmung anspielt, fertigte sie eine Fotoreihe weißer Gegenstände auf weißem Grund. Während die Dinge auf mattem Barytpapier und MDF Platte eine körperliche und plastische Präsenz demonstrieren, wirken die Dinge dieser Serie ephemer und verloren wie auf einer überbelichteten Röntgenaufnahme. Die Künstlerin stützt den Eindruck, indem sie ihre Papier-abzüge mit dünnen Nägeln an die Wand fixiert wie kostbare Schmetterlinge. Sie sehen so zart und unwirklich aus, als stammten sie von einem anderen Stern.
Die aktuelle Serie mit dem Titel „Letzte Dinge“ (2008) verbindet die frühen Werke zur Ontologie der Alltags-gegenstände aus den neunziger Jahren mit Kaltenmorgens Werkserie „Windows“ (2007) aus dem letzten
Jahr. Ging es in diesen Aufnahmen um den Blick durchs Fenster von Innen nach Außen und um Wahrnehmungsprobleme, bleibt in „Letzte Dinge“ der Blick im Raum und damit zugleich an den Gegenständen im Raum haften. Die Werkserie ist zweigeteilt und forciert so zwangläufig den Vergleich zwischen den beiden Bildreihen. Beide Bildblöcke zeigen das Innere eines Souterrains. In der ersten Bildreihe sieht man allerlei Möbel und altes Gerümpel, das dort gespeichert ist, in der zweiten Bildreihe ist der Keller weitgehend leer geräumt. Die tief stehende Sonne, die durch das längliche Kellerfenster flutet, taucht die Dinge partiell in Gegenlicht und lässt sie zum Teil undeutlich werden. Auch wenn der Ort unwirtlich ist, taucht die Sonne ihn doch in ein warmes Licht, und die Bilder sind selbst dann noch sehr malerisch, wenn sie nicht mehr durch die dem Auge angenehmen Farbakkorde der eingelagerten Möbel bestimmt werden. Auch die verschiedenen Weiß- und Grautöne des leeren Raumes und das Spiel von Licht und Schatten in ihm wirken in bestechender Weise malerisch.
Damit ist ein von der Bildtemperatur her versöhnlicher Ton angeschlagen, der die Bildrezeption leitet. Wie stets gelingt es Petra Kaltenmorgen auch mit dieser Fotoreihe ohne große Inszenierungsanstrengung, die faktischen Bilder in symbolische zu transformieren. Das funktioniert hier in erster Linie über die Zweiteilung der Serie, die sich so wie von selbst zur sinnstiftenden Bilderzählung fügt. Das Souterrain legt fast schon reflexartig Assoziationen zu Sigmund Freuds Lehre vom Es, vom Unbewussten, nahe und erinnert uns an den Kampfruf der Psychoanalyse: „Wo Es ist, soll Ich werden.“ Zuvor hat Freud uns mit der beunruhigenden Erkenntnis konfrontiert, wir seien „nicht Herr im eigenen Hause“ – was er durch die Anwendung der Psychoanalyse zu ändern hofft. Er benutzt damit, auf den Menschen und seine Probleme gemünzt, dieselbe Hausmetapher, die wir auch in den Bildern von Petra Kaltenmorgen finden. In solcher Perspektive sind „Die letzen Dinge“ paradoxerweise kein Abgesang mehr auf die Existenz, sondern ein Mutmacher: eine Erzählung vom leeren Raum, der sich mit neuem Leben füllt. Die tabula rasa, auf der die Biografie neu geschrieben wird.