Ein Treppenhaus für die Kunst V

treppenhausKatalog paare zur Ausstellung ‚Ein Treppenhaus für die Kunst V‘ des Niedersächsischen Ministeriums für Wissenschaft und Kultur, Juni bis Dezember 2001, Text: Gabi Sand, Sprengel Museum Hannover

Wahlverwandtschaften

von Gabriele Sand

„Ich sage ich und könnte auch wir sagen.“ Bertold Brecht

Paare – eine partnerschaftliche Gemeinschaft mit ihren zum Ausdruck kommenden Bedingungen gegenseitiger Beziehungen, Interaktionen und Abhängigkeiten finden in den neuen Arbeiten von Petra Kaltenmorgen eine Erscheinungsform. Mann und Frau, nebeneinander im Porträt, formulieren durch die Rhetorik der Fotografie ein Modell von Zweisamkeit. Gegenstand der Betrachtung ist also die Paarbeziehung, die als Lebensweise, Lebensform und letztlich als Lebenskunst ins Auge gefaßt wird.

Die Serie ist als Projekt für das Ministerium für Wissenschaft und Kultur in Hannover entstanden. Es sind Mitarbeiterinnen und Mitarbeit des Ministeriums, die mit ihren Partnern abgebildet sind. Die Partnerbeziehung wird öffentlich dargestellt. Die Alltäglichkeit des Arbeitsraumes diffundiert so in den Bereich des privaten Lebensraumes. Die fotografische Abbildung allerdings formuliert zwar das Besondere und Einzigartige des Paares, konzentriert sich aber auf die Darstellung des Modellhaften einer Paarbeziehung. Die Paare sind nicht in ihrer privaten Zweisamkeit zu beobachten, die soziales Umfeld mit reflektieren würden, sondern die Abbildung fokussiert Mann und Frau. Beide Partner treten in einen neutralen Umraum, isoliert und ohne Beziehung zu anderen Dingen in Erscheinung.

Die Zweisamkeit wird durch das fotografische Bild konstruiert. Die Partner wurden einzeln mit dem Blick direkt in das Objektiv der Kamera fotografiert. Alle sind in Freizeitkleidung abgebildet und betonen damit ihre Individualität und Privatheit. Erst die digitale Bearbeitung, das Kombinieren der einzelnen Porträts läßt die Paardarstellung entstehen. Dabei werden Frau und Mann so auf die weiße Fläche des Bildraumes plaziert, daß sich die Größenverhältnisse und Unterschiede ausgleichen: Beide werden gleichwertig nebeneinandergestellt.

Nicht die fotografische Simulation des konkret Realen ist Motivation der Paardarstellung, sondern das Konstruieren und Markieren einer bestimmten Situation. Nur im Zusammenspiel des Einzelnen entsteht das Gemeinsame. Der Eindruck der Selbstverständlichkeit der Beziehungen bildet sich durch die Komposition des gleichberechtigten Nebeneinanders der beiden Partner. Durch die digitale Bearbeitung wird eine ideale Paarsituation konzipiert.

Durch das Nebeneinander entsteht ein Miteinander, daß im Vergleichen von Mimik, Gestik und Kleidung die Suche nach Gemeinsamkeiten evozieren. Es ist das Heraustreten aus der Anonymität des Einzelnen in die Identität der Zweisamkeit. Aber nicht Sehnsucht wird hier formuliert, sondern gerade die Konstruktion betont die Wahrscheinlichkeit einer Zweisamkeit. Die Fotografien versuchen diese Idealvorstellung zu manifestieren und stellen damit gleichzeitig die Frage nach ihrer Möglichkeit.

Dieser Moment der Fiktion kommt nicht erst bei der Zusammenstellung der verschiedenen Porträtaufnahmen zu einer Serie ins Spiel, sondern ist schon an der Entstehung jedes einzelnen Bildes beteiligt. Indem die Fotografin auswählt, eine Pose bestimmt, den Blickwinkel festlegt, wird das Aufzeigen der Paarbeziehungen auch zugleich ein Akt persönlicher Interpretation. So sachlich sich Petra Kaltenmorgen vorzugehen zwingt, ihre Arbeit bestimmt dabei immer eine künstlerisch-deutende Dimension. Wenn die Porträts also in gewisser Hinsicht als eigene Erfindungen gelten können, so sind sie zugleich auch Produkte einer dargestellten Zeitgenossenschaft, die ein Argument entwickeln wollen gegen die Einsamkeit in der modernen Gesellschaft.